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WIEN-TAGEBUCH: 28. Dezember 2014

STRUDLHOFSTIEGE, WINTERLICH

Schon beim Besuch der herbstlichen Strudlhofstiege wollte ich sie auch im Winter - schneebedeckt - erleben.
Zu Weihnachten hatte es zwar nicht geschneit, aber gegen Jahresende versank Wien unter einer Decke von weißen Schneekristallen, und ich machte mich auf den Weg.

Wien, Strudlhofstiege

"eine Ode mit vier Strophen"

Zitat aus: Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1951 (Auflage 1976, S. 492)

  Wien, Strudlhofstiege, Winterjasmin

Gelb blüht der Winterjasmin, von einer weißen Schneehaube bedeckt
(wienerisch würde man sagen: von einem Gupf)

Wien, Strudlhofstiege, Winterjasmin    Wien, Strudlhofstiege, Winterjasmin    Wien, Strudlhofstiege, Winterjasmin

Von der Boltzmanngasse (vor 1913: Waisenhausgasse) kommend, sah ich zu meiner Rechten ein Gebäude, das an der Stelle des ehemaligen Strudlhofes steht. Auf Peter Strudl und den Strudlhof habe ich ja schon in meinem ersten Strudlhofstiegen-Bildbericht im Herbst hingewiesen.

"Das von Peter Strudl erbaute Palais Strudlhof gibt es in der ursprünglichen Form nicht mehr.
Sein heutiges Gesicht erhielt das Palais Strudlhof allerdings erst 1873: Herzog Philipp von Württemberg erwarb die Baustelle und ließ sich hier das neoklassizistische Palais errichten, das noch heute in der Strudlhofgasse steht - deshalb firmiert das Palais häufig auch unter dem Namen "Württemberg-Palais". An diesem fand 1905 der k. u k. Außenminister Berchtold Gefallen, er kaufte das Anwesen und nutzte es unter anderem als diplomatische Zentrale in den Vorwehen des Ersten Weltkriegs [ . . . ]
Rund zwei Wochen nach der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gattin Sophie
am 28. Juni 1914 in Sarajevo lud Außenminister Leopold Graf von Berchtold Minister und Honoratioren der österreich-ungarischen Monarchie in sein Palais Strudlhof am Alsergrund. Hier formulierten und unterzeichneten sie das Ultimatum an Serbien, das wenig später den Ersten Weltkrieg auslösen sollte [ . . . ]"

Diese Zitate und weitere ausführliche Angaben findet man auf der Webseite https://science.apa.at/rubrik/kultur_und_gesellschaft/1914_2014_-_Wien_Serbien-Ultimatum_entstand_im_Palais_Strudlhof/SCI_20140318_SCI54612457617519562

  

Gegenüber (Bilder unten) steht das Haus Strudlhofgasse 13, 1912 erbaut, ein "5geschossiges Zinshaus mit neobar.[ockem] Dekor und seitl.[ichen] Balkons; Gedenktafel Raoul Aslan (Schauspieler). Foyer und Stiegenhaus mit farbigen secessionistischen Tür- und Fensterverglasungen."
(Zitat aus: Dehio Wien, II. bis IX. und XX. Bezirk,Wien 1993, S. 431).

Wien, Strudlhofgasse 13    Wien, Strudlhofgasse 13

Daneben (Bilder unten) das Haus Nr. 19: "Erb.[aut] 1890; kleines 2geschossiges Wohnpalais in Neorenaissanceformen; Karyatidenportal, Ädikulafenster" (Zitat: wie Haus Nr. 13, s. oben). Dieses Haus hatte also schon bestanden, als die Strudlhofstiege erbaut wurde, im Gegensatz zum 1912 errichteten Haus Nr. 13.

Wien, Strudlhofgasse 19    Wien, Strudlhofgasse 19

Nun stand ich also oben und schaute über die Rampen vom "Meister der Stiegen" hinab.

Wien, Strudlhofstiege

Schnee verändert alles

Wien Strudlhofstiege   Wien, Strudlhofstiege

Wien, STrudlhofstiege

[Melzer:] "Und was war vorher hier? Bevor die Stiegen gebaut worden sind?"
"Eine Gstetten, wie man zu sagen pflegt", antwortete Stangeler, "Hier hat es vorher keine andere und ältere Stiegenanlage gegeben. Es war einfach ein Teil des Abhangs von der sogenannten Schottenpoint zu der alten Vorstadt 'Am Thury' hinunter. Eine kurze Leiten. Die Buben haben da wahrscheinlich Indianer gespielt. Was den Meister der Stiegen betrifft, den Architekten Jäger, wie Sie sagen, so weiß ich über diesen durch meinen Vater noch einige sehr bezeichnende Einzelheiten. Vor allem, er ist gar kein Architekt gewesen, sondern Ingenieur und war ursprünglich Assistent an der Technischen Hochschule und zwar bei der Lehrkanzel für Brückenbau. Dann ist er als Bau-Ingenieur in die Straßenbau-Abteilung des Stadtbau-Amts gekommen. Nun, Jäger hat ursprünglich ein humanistisches Gymnasium besucht, später erst die Realschule. Auch das müßte man eigentlich aus dem Gegensatze zwischen diesem Werk und einem reinen Ingenieur-Beruf entnehmen können. Dies hier nährte sich bei seiner Entstehung also aus tieferen Schichten im Wesen des Urhebers, welche später überworfen wurden. Was weiß ein prädestinierter Ingenieur von einem genius loci?! Er wird ihn höchstens überall austreiben mit seinen Anstalten. Nicht aber ihn entdecken, wie Jaeger das hier vermocht hat, und eine Ode mit vier Strophen auf ihn dichten, in Gestalt einer Treppenanlage. Das kann nur ein Humanist. Dieses Werk spricht von geheimstem Leben, nicht von irgendeiner offiziellen, bewußtseinsoffiziellen Biographie. Hier hat sich die Sehnsucht eines edlen und vornehmen Mannes in Stein ausgesprochen. Denn, nebenbei bemerkt, und das hat mein Vater sogar besonders unterstrichen: Jaeger muß sich da ganz genau ausgekannt haben, er mußte wirklich wissen, wie man's macht, denn er blieb ja mit seinem Entwurf durchaus an die Voraussetzungen des Steinmetz-Handwerks, an den Steinschnitt gebunden. Davon hatte er offenbar profunde Kenntnisse oder war's ihm überhaupt zweite Natur – so wie den antiken Dichtern die kompliziertesten Versmaße und die dabei erforderlichenSilben-Quantitäten, worin es beispielsweise in der gesamten römischen Literatur kaum einen Fehler gibt – so konnte sich Jaeger schon ganz frei in dieser Materie bewegen, mit seiner Komposition. Das Resultat sagt alles. Hier sind die Stufen im Haine des genius loci: und dann erst nebenbei für Passanten."

Zitat aus: Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1951 (Auflage 1976, S. 491-492)

  Wien, STrudlhofstiege      Wien, STrudlhofstiege

Wien, Strudlhofstiege

grün gestrichenes Metall und Rankenwerk, vom Schnee in Muster verwandelt.

Wien, Strudlhofstiege

Vom Frühling bis zum Herbst sind Schritte unsichtbar. Im Winter-Schnee werden alle Spuren deutlich: hier führen wenige zur linken Seite der Stiege hinauf (von oben gesehen). Wie ein Trichter scheint der Stiegenaufgang rechts die Fußspuren einzusaugen.

Wien, Strudlhofstiege

Wien, Strudlhofstiege

viele sind diese Stiege gegangen - haben sie sie auch wahrgenommen?

"Er [Melzer] betrachtete das Werk – denn als solches erschien es immerhin auch seinem einfachen Gemüte – zum ersten Mal mit ein wenig Aufmerksamkeit und trennte sich so innerlich von einer endlosen Reihe der Passanten, die täglich unter ihre Füße treten, was sie eben darum nie gesehen haben."

"Die Stiegen lagen da für jedermann, für's selbstgenuge Pack und Gesindel, aber ihr Bau war bestimmt, sich dem Schritt des Schicksals vorzubereiten, welcher nicht geharnischten Fußes immer gesetzt werden muß, sondern oft fast lautlos auf den leichtesten Sohlen tritt, und in Atlasschuhen, oder mit den Trippelschrittchen eines baren armen Herzens, das tickenden Schlags auf seinen Füßlein läuft, auf winzigen bloßen Herzfüßlein und in seiner Not: auch ihm geben die Stiegen, mit Prunk herabkaskadierend, das Geleit, und sie sind immer da, und sie ermüden nie uns zu sagen, daß jeder Weg seine eigene Würde hat und auf jeden Fall immer mehr ist als das Ziel."

Zitat aus: Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1951 (Auflage 1976, S. 330, 331)

Wien, Strudlhofstiege

"leichte Schuh und schwere Tritte"

(aus dem Gedicht, auf der Strudlhofstiege in Stein gemeißelt und dem Roman vorangestellt)

Wien,Strudlhofstiege     Wien, Strudlhofstiege

Wien,Strudlhofstiege

"Das ist eine ganz geheimnisvolle Stelle. Wie sich diese Stiegen hinabsenken, wie aus einer neuen Stadt und ihren Reizen in eine alte und ihren Reiz! Eine Brücke zwischen zwei Reichen. Es ist, als stiege man durch einen verborgenen Eingang in die schattige Unterwelt des Vergangenen . . ."

Zitat aus: Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1951 (Auflage 1976, S. 285)

Wien, Strudlhofstiege

Oben: Jetzt erst wird die Stiege vom Schnee "befreit" - ich war noch rechtzeitig gekommen, um die Wege der Fußgänger auf den Stufen in deutlichen Eindrücken zu sehen. Gleich ist auch die Bank schneeleer.

Und das große Schnee-Herz wird bald verschwunden sein, denn die Schneeräumung macht auch vor diesem Liebeszeichen nicht halt. Aber das Gedächtnis der Stiege wird es bewahren,
wie viele andere Geheimnisse auch.

Wien, Strudlhofstiege

Wie man den Zitaten entnehmen kann, habe ich die "Strudlhofstiege" von Seite 1 bis 909 gelesen und herausgegriffen, was jene, die nach mehrfachen Lese-Ansätzen gescheitert sind, nicht entdecken konnten.
Nicht, daß ich das meiste verstanden hätte, aber ich begann doch, mit rosa Merkzettelchen die Seiten zu kennzeichnen, die ich wiederfinden wollte - inzwischen ist meine Strudlhof-Ausgabe mit solchen Zettelchen gespickt, und der Schutzumschlag trägt Spuren vielfachen Begreifens. Und jetzt, nachdem ich bis zur Seite 909 gelangt bin, schlage ich das Buch ganz willkürlich an irgendeiner Stelle auf, in die ich mich dann vertiefe. Und wieder Neues entdecke und wohl ein wenig mehr verstehe. Mehr als zehn bis fünfzehn Seiten habe ich nie in einem Zug gelesen, dann gebot mir die eintretende Flüchtigkeit, das Buch wegzulegen.Vielleicht - hoffentlich - sind manchen von Ihnen meine Zitate nicht genug und daher Anreiz, das ganze Werk zu lesen.

Zur herbstlichen Strudlhofstiege geht es hier

Fotos: Copyright Dr. Waltraud Neuwirth, Wien

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